Gemeinde der Zukunft - Sieben Thesen

Im Sommer 2019 bekam ich die Anfrage einen Beitrag für das alt-katholische Jahrbuch 2021 zum Thema "Gemeinde der Zukunft" einen Beitrag zu schreiben. Mittlerweile ist das Jahrbuch im Druck und ich veröffentliche hier schon einmal die Einleitung des Beitrags als "Appetizer" und freue mich über gute Kommentare und Diskussionen - denn die dann später folgenden Thesen sind sicher für den ein oder die anderen etwas provokant...

"Ende Februar 2020 war es soweit: ich hatte zeitnah und pünktlich diesen Beitrag fürs Jahrbuch im Kasten und war in einer geradezu euphorischen Stimmung, alles auf den Punkt gebracht zu haben, was mir wichtig war, Ihnen an Gedanken zum Thema "Gemeinde der Zukunft" mitzugeben. Wir hatten gerade zwei fulminante Medienfeatures über unsere Berliner Gemeinde im Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk (die eine gute Resonanz auch über unser Kernklientel hinaus verhießen), der Radiogottesdienst im DLF stand an, unsere SocialMedia-Kanäle waren für die anstehende Fastenzeit gut gefüllt mit täglichen Impulsen und unsere Hauskirche in Berlin-Wilmersdorf war zu den Gottesdiensten übervoll. "Yes!" war der Freudenruf im Herzen - so konnte die österliche Bußzeit aus Sicht des Gemeindeleiters gut beginnen. Aber dann... kam Corona. Und schlagartig zerfiel die Euphorie in ein radikal erzwungenes Umdenken. Wie bei allen anderen Gemeinden weltweit auch zerbröselten alle Pläne mit jedem Tag mehr, der der Lockdown andauerte. 

Ich wollte den Jahrbuchartikel so abschicken wie geplant - war aber innerlich blockiert - denn mit Corona schwebten über allen meinen Thesen auf einmal übergroße Fragezeichen. Je länger wurde je klarer: die Thesen passen und tragen nicht mehr - und ich löschte den gesamten Beitrag. Die folgenden Monate waren ein Stammeln und Stottern zum gesetzten Thema und jetzt erst (Ende Juni 2020) fällt es mir wieder etwas leichter klar zu sehen - wenngleich die Thesen coronabedingt nicht mehr so konkret sind wie im erstverfassten Beitrag. Und da die Endredaktion naht, muss der Beitrag raus - egal ob es einen weiteren Lockdown im Herbst 2020 geben wird oder nicht und ich dementsprechend ggfls. wieder meine Thesen beerdigen muss, weil sie überholt sind.

Und dabei hatte ich doch meiner Gemeinde noch an Aschermittwoch gepredigt: "Fühlt euch in den kommenden Wochen doch einmal in andere Welten ein - nehmt einen Perspektivwechsel vor. Schaut einmal durch die Augen  der chronisch Kranken, die nicht zum Gottesdienst kommen können, obwohl sie wollen. Durch die Augen der Pflegekräfte, die vor Überarbeitung kaum wissen, wie sie unser Gesundheitssystem tragen können. Durch die Augen der Putzkräfte, die die stillen Helferlein sind, die keiner sieht. Oder wenn ihr eh schon in einem dieser Berufe arbeitet: Fühlt euch doch einmal als Chef, der seinen Laden finanziell zusammenhalten muss." Gedacht als spirituelle Einübung in die Fastenzeit waren wir alle kurz darauf im erzwungenen Perspektivwechsel gefangen - und das über Ostern hinaus! 

In der Geschichte gibt es manchmal Schnitte (Zäsuren), hinter die man erkenntnistheoretisch nicht mehr zurückkann. Und m.E. wird der Ausbruch von Corona im Rückblick solch eine Zäsur sein. Theologisch betrachtet werden nämlich auch manche Epidemien der Geschichte wie z.B. die Pest durch medizinische Erkenntnisse gerade was den Gottesdienst betrifft, neu bewertet werden müssen. "In der Not gehen alle wieder in die Kirche!" ist ein Satz, den man heute in seiner Generalität nicht mehr so sagen kann ohne zynisch zu sein. Wenn das gemeinsame Beten und Singen nämlich einer weiteren Verbreitung von Epidemien galt und gilt - wären die Epidemien der Vergangenheit dann nicht weniger verheerend ausgefallen ohne den Besuch des Gottesdienstes? Wenn - wie sich zumindest in der derzeitigen Forschung herausstellt - Aerosole der Hauptverbreitungsweg (nicht nur) von Corona sind, steht das gemeinsame Singen auf engem Raum als Ideal prinzipiell vor einem Fragezeichen. Und das gerade bei unseren gesangsstarken Gemeinden! Usw....

Nähe, Singen, Berührung - all das geht nicht mehr so unbeschwert und frei wie es das Herz will. Und damit geht auch manches Bild von Gemeinde verloren, welches uns in den letzten Jahren getragen hat und mir zumindest bis Ende Februar als feste Grundlage für Überlegungen zur "Gemeinde der Zukunft" diente. Ein Blick in die Glaskugel ist eh immer schwierig - und doch war dies der Auftrag für alle, die in diesem Jahrbuch etwas schreiben - also gehts los - in sieben (manchmal auch provokativen) Thesen!" 

... und nach Erscheinen des Jahrbuchs werden diese hier im Blog veröffentlicht.

Kommentare

  1. Sehr spannend, allein schon das Vorwort zu den Thesen. Auf der Suche nach biblischen Parallelen zur Corona-Situation bin ich aufs Babylonische Exil gestoßen: Die falschen Propheten sagen, dass das alles schnell vorbei sein wird und dann wird wieder alles so wie vorher. Jeremia setzt dagegen: Nein, das wird jetzt ganz lange so sein und ihr müsst euch in dieser unangenehmen Situation einrichten (Jer 29). Das stimmte damals und ich denke, das stimmt auch heute.

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