Wer bin ich und wie viele?


Wer bin ich - und wenn ja wie viele?“ Dieses Buch des Philosophen Richard David Precht ist seit 2007 ein Bestseller. Es geht u.a. der Frage nach, wie wir zu Bewusstsein und Verhalten und letztlich zu Identität kommen. Heute ist Identität für viele Menschen ein wichtiges Thema – und die Sorge um den Verlust derselbigen ermutigt so manchen zu Härte und Intoleranz. Kann ich nur dann eine eigene Identität haben, wenn ich mich von anderen abgrenze? Wie können wir fröhlich eine christliche Identität leben und anbieten, die Andersdenkende und -glaubende nicht ausschließt?
Auch die Bibel ist ein Bestseller und auch dort geht es um Identität. Doch wie so oft gibt sie uns auch bei diesem Thema keine eindeutigen Antworten und nimmt uns das Selber-Denken nicht ab.
Zunächst begegnet uns die Identität Gottes. Zu Mose sagt Gott im brennenden Dornbusch: „Ich bin der ich bin, das ist mein Name“ (Exodus / 2. Mose 3, 14). Gott ist also die Identität in Person, alles was ist, ist durch ihn und in ihm. In anderen Bibeltexten erscheint Gott aber auch als das liebende und herausfordernde Gegenüber. Die Frage danach, wer oder was Gott eigentlich ist, spitzt Jesus im Johannesevangelium mit den Ich-bin-Worten zu: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben, der gute Hirte, das Brot des Lebens, der Weinstock (und ihr die Reben), die Tür. Diese Aussagen über die Identität Jesu sind vom selben Geist getränkt, lassen aber verschiedene Zugänge und Haltungen zu.
Es geht in der Bibel aber auch um die Identität von Menschen wie Du und ich. Oft finden sie erst im Laufe ihres Lebens zu ihrer eigentlichen Identität – oder anders gesagt: sie werden von Gott gefunden (Mose, Jeremia, die Jünger, Paulus). 

1 Chronik 4, 9-10

Und Jabez war angesehener als seine Brüder; und seine Mutter gab ihm den Namen Jabez und sagte: Denn in Schmerzen habe ich ihn geboren.
Und Jabez rief den Gott Israels an und sagte: Dass du mich doch segnen und mein Gebiet erweitern mögest und dass deine Hand mit mir sei und du mich vom Unglück fern hieltest, so dass kein Schmerz mich trifft! Und Gott liess kommen, was er erbeten hatte.


Im Alten Testament ist die Rede von Jabez (1 Chronik 4, 9-10). Sein Name heißt übersetzt „Schmerz“. Der Name soll ja etwas aussagen über die Identität eines Menschen und so auch hier: Seine Mutter hatte ihn unter besonderen Schmerzen geboren und ihn dann gleich auch „Schmerz“, Jabez, genannt. Manchmal scheint es so, als ob unsere Familiengeschichte uns ein Leben lang zeichnet, dass sie aus uns die macht, die wir sind. Es war eine schwierige Geburt und das wird Jabez ein Leben lang mit sich herumtragen.
Aber Jabez belässt es nicht dabei, er vertraut sich einem Größeren an. Er bittet Gott darum, sein „Gebiet zu vergrößern“ und ihn vor Unheil zu bewahren. „Und Gott erhörte sein Gebet.“ Jabez lässt sich nicht auf den Schmerz reduzieren, er spürt, dass seine Identität darüber hinaus geht. Er ist aber auch kein self made man, der sich seine Identität selber bastelt. Stattdessen wendet er sich an Gott und erbittet ein gutes Leben.
Diese kurze Bibelgeschichte zeigt gut, wie sehr Gott darauf aus ist, Menschen zu ihrer eigentlichen Identität zu führen, sie nicht in vorgefertigten Urteilen oder familiär bedingten Fesseln zu lassen. Auch wir sind heute dazu eingeladen, im Kontakt mit Gott und unseren Mitmenschen immer mehr zum eigenen Kern vorzudringen und falsche Identitäten, die uns am Wachsen und Lieben hindern, hinter uns zu lassen.
Das Beispiel von Jabez lädt dazu ein, Identität nicht als isolierte, selbstbezogene Realität zu denken: Erst im Kontakt mit anderen Menschen und mit Gott, dem ganz Anderen, finden wir zu einer tragenden Identität.



Wie geht es mir mit meinem Namen, wie fühle ich mich mit meinem Namen? Welche positiven Bedeutungen meines Namens helfen mir, mich mit meinem Namen zu identifizieren?

Wann habe ich erfahren, dass ich mehr bin als das, was andere von mir, von meinem Namen erwarten? Mehr als eine Zuschreibung…

Wie kann es mir gelingen, meine Identität nicht in Abgrenzung, sondern in Beziehung (zu anderen Menschen, zu Gott) zu definieren?


Carsten Albrecht, Stadtkloster Segen
Beitrag zum Gemeindebrief der Evangelischen Kirchgemeinde Prenzlauer Berg Nord, Ausgabe Juli-August 2019, knapp überarbeitet im Juli 2020


 

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