Gott ist einer von uns

Hier erst mal ein kleines Musikvideo - als Trostpflaster für die ausgefallenen Konzerte, die im Juni im Stadtkloster geplant waren: Quartett ad hoc

Und hier mein Impuls zu Jesu Auftreten in Nazareth:


Lukas 4, 16-22

Jesus kam auch nach Nazaret, wo er aufgewachsen war. Am Sabbat ging er wie gewohnt in die Synagoge. Er stand auf, um aus den Heiligen Schriften vorzulesen. Man reichte ihm die Schriftrolle mit dem Propheten Jesaja. Jesus rollte sie auf und fand die Stelle, wo geschrieben steht:

»Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt.
Das ist mein Auftrag: Den Armen soll ich die Gute Nachricht bringen.
Den Gefangenen soll ich ankündigen, dass sie frei werden,
und den Blinden, dass sie sehen werden.
Den Unterdrückten soll ich die Freiheit bringen.
Ich soll verkünden: Jetzt beginnt das Jahr, in dem der Herr Gnade schenkt.«

Jesus schloss die Schriftrolle wieder, gab sie dem Synagogendiener zurück
und setzte sich.
Alle Augen in der Synagoge waren gespannt auf ihn gerichtet.
Da sagte er zu den Anwesenden: »Heute – in eurer Gegenwart – ist dieses Schriftwort in Erfüllung gegangen.«
Alle spendeten ihm Beifall. Sie staunten über die Botschaft von der Gnade, die er verkündete. Doch dann sagten sie: »Ist das nicht Josefs Sohn?«


Jesus geht nach Nazareth, in die Stadt, in der er aufgewachsen ist. Er stellt sich den Leuten dort vor, denen, die ihn noch von früher kennen. Vielleicht ist das einigen von uns bekannt: Ich komme an den Ort, wo ich aufgewachsen bin, wo Kindheitserinnerungen da sind – und doch ist alles anders, der Ort hat sich verändert und ich hab mich auch verändert.
Die Leute in Nazareth kennen Jesus noch als den Sohn des Zimmermanns Josef. Und nun treffen sie ihn wieder in der Synagoge am Sabbat. Im jüdischen Verständnis ist der Sabbat mehr als nur ein Ruhetag, er ist ein Zeichen des Bundes zwischen Gott und den Menschen. Es ist kein Zufall, dass die Begegnung, von der hier die Rede ist, an einem Sabbat geschieht: Gottes Bund mit den Menschen wird an diesem Sabbat auf besondere Weise deutlich.
Es war damals üblich, dass erwachsene jüdische Gottesdienstteilnehmer eine Stelle ihrer Wahl aus einem Prophetenbuch kommentieren dürfen. In diesem Moment hatte der Synagogen-Gottesdienst etwas Spontanes: Freiwillige vor… Jesus meldet sich, bekommt das Buch des Propheten Jesaja gereicht und liest diese Stelle vor (Jesaja 61, 1-2):

»Der Geist des Herrn ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt.
Das ist mein Auftrag: Den Armen soll ich die Gute Nachricht bringen.
Den Gefangenen soll ich ankündigen, dass sie frei werden,
und den Blinden, dass sie sehen werden.
Den Unterdrückten soll ich die Freiheit bringen.
Ich soll verkünden: Jetzt beginnt das Jahr, in dem der Herr Gnade schenkt.«

Da ist von einem Gesalbten die Rede. Bei den Königen damals war es üblich, dass sie mit Salböl bestrichen wurden als Zeichen dafür, dass sie von Gott erwählt sind. Wir machen das heute bei Bundeskanzler*innen nicht mehr so, aber damals war es üblich. Die meisten dieser gesalbten Könige waren eine Enttäuschung für die Menschen und auch für Gott; es waren Machtpolitiker, die mehr oder weniger verantwortungslos gehandelt haben. Ausnahmen bestätigten auch damals schon die Regel.
Es gab über Jahrhunderte hinweg die große Sehnsucht, dass sich das ändert - dass da einer kommt, der Gottes Versprechen auch wirklich ein-löst, der die Menschen er-löst. Von genau dem ist im Jesaja-Text die Rede – hier kommt Gott höchst persönlich und kümmert sich um seine Menschen; und genau dieser steht da vor den Leuten in Nazareth:

Heute, in eurer Gegenwart, ist dieses Schriftwort in Erfüllung gegangen.

Jesus ist es, den dieser uralte Text ankündigt, in ihm erfüllt sich die alte Sehnsucht nach Fülle, nach Gerechtigkeit, nach Eins-Sein mit Gott. Dabei sagt dieser Text konkret, welche Aufgaben dieser neue Gesalbte hat:

1. Er verkündet den Armen eine Gute Nachricht, er hat die kleinen Leute im Blick, die Ausgegrenzten, die sozial Benachteiligten. Er nimmt sie ernst, sie sind ihm wichtig.

2. Er sagt den Gefangenen die Freiheit an: Die Mächte, die uns gefangen halten, spielen nicht mehr die erste Geige. Politische oder wirtschaftliche Unterdrückung, aber auch unsere inneren Blockaden, alles fast uns festhalten will, wird entmachtet, ist weniger stark als diese neue Kraft, die da mit Jesus kommt. Wir können in unserem persönlichen Leben dort andocken, wo wir unfrei sind, wo wir gefangen sind. Er will uns da rausholen, uns frei machen.

3. Er kündigt den Blinden an, dass sie sehen werden. Da kommt einer, der mir hilft, zu sehen, der mir vielleicht die richtige Brille gibt, um wahrzunehmen, um die Realität um mich herum und in mir drin besser zu sehen.

4. Es, er läutet ein Gnadenjahr ein. Im Alten Testament ist vom Erlassjahr die Rede, es kommt alle 7 Jahre und die Schulden werden erlassenen, Gefangene werden freigelassen (vgl. 5. Mose/Deuteronomium 15,1-18). Alle sind wieder gleich vor Gott und voreinander. Mit Jesus soll dieses Gnadenjahr nun Dauerzustand werden: In ihm stellt Gott die Beziehung zu den Menschen neu her und alles, was uns von ihm trennt, möchte er aufheben.

In Jesus bekommt die Gegenwart Gottes bei den Menschen eine neue Qualität, Gott ist wie einer von uns. Das 90er-Jahre Lied von Joan Osborne bringt es gut auf den Punkt: „What if God was one of us?"
Mit Jesus ist Gott einer von uns geworden und er lädt uns ein, mit ihm mitzugehen und mit im unterwegs zu sein.


Wie geht es mit, wenn ich an den Ort gehe, an dem ich aufgewachsen bin? Was ist wie früher, was ist jetzt anders?

Wonach sehne ich mich und welche Verbindung hat diese Sehnsucht mit Gott?

Was bedeutet es für mein Leben, dass in Jesus Gott „einer von uns“ geworden ist?



Carsten Albrecht
Impuls zur Abendbesinnung am 21. Juni 2020 im Stadtkloster Segen

Geistliche Impulse aus dem Stadtkloster Segen

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