Heilung in schmutzigem Wasser
Heilung,
gesund Werden, Genesung – das sind beileibe nicht erst seit Corona
wichtige Themen in unserem Leben.
2.
Buch der Könige 5, 1-19
Naaman,
der Feldherr des Königs von Aram, galt viel bei seinem Herrn und war
angesehen; denn durch ihn hatte der HERR den Aramäern den Sieg
verliehen. Der Mann war tapfer, aber an Aussatz erkrankt.
Nun
hatten die Aramäer bei einem Streifzug ein junges Mädchen aus dem
Land Israel verschleppt. Es war in den Dienst der Frau Naamans
gekommen. Es sagte zu seiner Herrin: Wäre mein Herr doch bei dem
Propheten in Samaria! Er würde seinen Aussatz heilen. Naaman ging zu
seinem Herrn und meldete ihm: Das und das hat das Mädchen aus Israel
gesagt.
Der
König von Aram antwortete: So geh doch hin; ich werde dir ein
Schreiben an den König von Israel mitgeben. Naaman machte sich auf
den Weg. Er nahm zehn Talente Silber, sechstausend Schekel Gold und
zehn Festkleider mit und überbrachte dem König von Israel das
Schreiben. Es hatte folgenden Inhalt: Wenn jetzt dieser Brief zu dir
gelangt, so wisse: Ich habe meinen Knecht Naaman zu dir geschickt,
damit du seinen Aussatz heilst.
Als
der König von Israel den Brief gelesen hatte, zerriss er seine
Kleider und rief: Bin ich denn ein Gott, der töten und zum Leben
erwecken kann? Er schickt einen Mann zu mir, damit ich ihn von seinem
Aussatz heile. Merkt doch und seht, dass er nur Streit mit mir sucht!
Als
der Gottesmann Elischa hörte, der König von Israel habe seine
Kleider zerrissen, ließ er ihm sagen: Warum hast du deine Kleider
zerrissen? Naaman soll zu mir kommen; dann wird er erfahren, dass es
in Israel einen Propheten gibt.
So
kam Naaman mit seinen Pferden und Wagen und hielt vor dem Haus
Elischas. Dieser schickte einen Boten zu ihm hinaus und ließ ihm
sagen: Geh und wasch dich siebenmal im Jordan! Dann wird dein Leib
wieder gesund und du wirst rein.
Doch
Naaman wurde zornig. Er ging weg und sagte: Ich dachte, er würde
herauskommen, vor mich hintreten, den Namen des HERRN, seines Gottes,
anrufen, seine Hand über die kranke Stelle bewegen und so den
Aussatz heilen.
Sind
nicht der Abana und der Parpar, die Flüsse von Damaskus, besser als
alle Gewässer Israels? Kann ich nicht dort mich waschen, um rein zu
werden? Voll Zorn wandte er sich ab und ging weg.
Doch
seine Diener traten an ihn heran und redeten ihm zu: Wenn der Prophet
etwas Schweres von dir verlangt hätte, würdest du es tun; wie viel
mehr jetzt, da er zu dir nur gesagt hat: Wasch dich und du wirst
rein.
So
ging er also zum Jordan hinab und tauchte siebenmal unter, wie ihm
der Gottesmann befohlen hatte. Da wurde sein Leib gesund wie der Leib
eines Kindes und er war rein.
Nun
kehrte er mit seinem ganzen Gefolge zum Gottesmann zurück, trat vor
ihn hin und sagte: Jetzt weiß ich, dass es nirgends auf der Erde
einen Gott gibt außer in Israel. So nimm jetzt von deinem Knecht ein
Dankgeschenk an!
Elischa
antwortete: So wahr der HERR lebt, in dessen Dienst ich stehe: Ich
nehme nichts an. Auch als Naaman ihn dringend bat, es zu nehmen,
lehnte er ab. Darauf sagte Naaman: Wenn es also nicht sein kann, dann
gebe man deinem Knecht so viel Erde, wie zwei Maultiere tragen
können; denn dein Knecht wird keinem andern Gott mehr Brand- und
Schlachtopfer darbringen als dem HERRN allein.
Nur
dies möge der HERR deinem Knecht verzeihen: Wenn mein Herr zur
Anbetung in den Tempel Rimmons geht, stützt er sich dort auf meinen
Arm. Ich muss mich dann im Tempel Rimmons niederwerfen, wenn er sich
dort niederwirft. Dann möge das der HERR deinem Knecht verzeihen.
Elischa antwortete: Geh in Frieden!
Wir
haben es hier mit einer sehr alten Heilungsgeschichte zu tun,
ungefähr aus dem Jahr 850 v. Chr. Naaman ist der Feldherr des Königs
von Syrien, was damals „Aram“ hieß. Er ist der zweitmächtigste
Mann im aramäischen Reich, der Stellvertreter des Königs Bar-Adad
II. Naaman ist scheinbar sehr erfolgreich, der König schätzt ihn,
in Kriegen siegt er. Er ist auf dem Zenit seiner Karriere.
Aber
etwas Entscheidendes fehlt ihm: Seine Gesundheit ist ihm
abhandengekommen. Er ist krank, hat „Aussatz“ - gemeint ist
Schuppenflechte, eine sehr schmerzhafte und damals unheilbare
Hautkrankheit.
Vielleicht
geht es uns auch manchmal so ähnlich: Wir sind äußerlich
erfolgreich, bekommen Zuspruch, die Dinge laufen gut. Doch dann
plötzlich trifft uns ein Schlag und wir werden auf die Grundfesten
unserer Existenz zurückgeworfen.
Eine
solche Situation kann einfach nur schlimm sein, das darf man
nicht wegreden. Aber es kann auch dazu führen, dass wir gewohnte
Wege verlassen und in dieser Situation etwas Wertvolles für unser
Leben entdecken. So kam es bei Naaman: Er war verzweifelt - und hörte
auf den Rat eines Menschen, der in seinem Machtgefüge überhaupt
nichts galt: Eine junge Israelitin, die seine Armee als Sklavin im
Krieg verschleppt hatte und die als Dienerin für Naamans Frau
arbeitete.
Sie
sagt, dass es bei ihr zu Hause in Israel jemanden gebe, der Naaman
heilen könnte. Naaman greift nach dem letzten Strohhalm und macht
sich auf den Weg zu den Israeliten. Er muss wirklich gelitten haben,
sonst hätte er nicht auf den Rat einer Frau gehört und schon gar
nicht, wenn sie Ausländerin und Sklavin ist. Das gehörte sich
damals nicht – hoffentlich ist das heute anders.
Die
Dienerin kam aus einem komplett unterschiedlichen kulturellen
Kontext. Ausgerechnet sie hat Naaman neu auf sich blicken lassen und
ihm neue Wege eröffnet. Etwas Neues beginnt für ihn… Hat er es
schon geahnt oder war er einfach nur frustriert?
Naaman
geht erst mal zum König der Israeliten, der hieß damals Joram. Wer,
wenn nicht der König soll die Macht haben, ihn zu heilen? Das
funktioniert nicht, also greift Naaman nach dem nächsten Strohhalm:
Er geht zum Propheten Elischa, der ihm ausrichten lässt: Tauche 7mal
im Jordan unter, dann wirst Du rein.
„Naaman
wurde zornig. Er ging weg und sagte: Ich dachte, er würde
herauskommen, vor mich hintreten, den Namen Jahwes, seines Gottes,
anrufen, seine Hand über die kranke Stelle bewegen und so den
Aussatz heilen.“
Naaman
versteht die Welt nicht mehr, er geht von einer Demütigung zur
nächsten, ohne zu merken, dass genau das sein Heilungsweg ist. Er
nimmt das Nicht-Erscheinen des Propheten persönlich, schließlich
ist er Vize-König. Er hofft auf ein starkes sichtbares Zeichen, will
eine klare, eindeutige Geste, um geheilt zu werden. Doch Gott handelt
anders, er handelt unerwartet.
Elischa
lässt ihm ausrichten: „Geh und wasch dich siebenmal im Jordan!
Dann wird dein Leib wieder gesund, und du wirst rein.“ Naaman ist
total entsetzt über das, was ihm da anempfohlen wird, er versteht
die Welt nicht mehr. Bei sich zu Hause in Damaskus gibt es schöne,
saubere Flüsse, dort könnte er doch auch baden. Und jetzt soll er
in den Jordan, in diese matschige Plörre eintauchen?
Abermals
sind es Niedrig-Gestellte, die ihn überreden, es doch zu tun: Seine
Diener, die ihn begleiteten. Er geht in den Jordan – und es klappt.
Er wird vom Aussatz geheilt und nicht nur das, seine Haut ist wie die
eines Neugeborenen.
Die
entscheidenden Ratschläge kommen von den Menschen, von denen Naaman
es nicht erwartet und von denen man ohnehin eigentlich keine
Ratschläge annimmt: Diener und Sklaven (und Frauen). Die Geste, die
er im Jordan machen musste, passt dazu: Er muss Demut lernen, muss
die Bilder, die er von sich und der Welt hat, loslassen, um Heilung
zu empfangen.
In
der psychologischen Traumdeutung steht Wasser für die Gefühle eines
Menschen. Es hat also noch eine tiefere Bedeutung, wenn Naaman in das
dreckige Wasser des Jordan eintaucht: Er stellt sich seinen Gefühlen,
auch den unangenehmen. Das ist zunächst nicht schön, aber es macht
ihn heil, es erneuert ihn.
Was
ist der Jordan meines Lebens, was hilft mir, mich zum Eintauchen zu
überwinden?
Vielleicht
können wir uns also ein Stück weit mit Naaman identifizieren. Aber
auch die anderen Personen, die in der Geschichte vorkommen, sind
interessant. Z.B. König Joram, der Naamans Bitte um Heilung schroff
abweist. Der findet diesen Besuch gar nicht lustig, schließlich hat
er mit diesem syrischen Feldherrn schon mal einen Krieg erlebt. Krieg
sät Angst und Misstrauen. Leider ist auch das heutige Syrien ein
trauriger Fingerzeig…
Der
König der Israeliten geht von einer Provokation der Syrer aus, er
zerreißt seine Kleider zum Zeichen der Empörung, er ist
kampfbereit. Vielleicht können wir Joram auch ein bisschen
verstehen: Er hat Angst vor einem neuen Krieg, vor Besatzung und Tod.
Heute würde man sagen, Joram hat die Politiker-These verinnerlicht,
wonach man mit der Bergpredigt keine Politik machen könne. Er folgt
dem Motto: Wer kämpft, kann verlieren; wer nicht kämpft, hat schon
verloren. In einem Klima, das von Angst und Misstrauen beherrscht
ist, hat es das Neue schwer, ans Tageslicht zu gelangen. Die
Beteiligten sind angespannt und wie gefangen in der Konfliktlogik.
Ich
kenne solche Situationen auch aus meinem Leben und vielleicht geht es
Ihnen und Euch auch so: Ich fühle mich gekränkt, glaube, mich
verteidigen zu müssen und stecke voll drin in der Konfliktspirale.
Aber ich spüre auch, dass in mir eine Kraft ist, die mich wachsen
lässt und die will, dass alte Wunden heilen. Und wenn sie bislang
nicht geheilt sind, dann doch wenigstens vernarbt.
Mit
dieser inneren Kraft identifiziere ich Gott. Gott in mir – der ist
nicht abhängig von meiner Tagesform oder von dem, was um mich herum
passiert. Gottes Heilungsgeschichten brauchen oft Zeit, manchmal
sogar ein ganzes Leben lang.
In
der vorliegenden Bibelstele geht es deutlich schneller: Der Prophet
Elischa schaltet sich ein und sagt Naaman, was jetzt zu tun ist.
Manchmal ist es gut, wenn uns Menschen begegnen, die innerlich frei
sind und sich in verworrenen Konflikten nicht von einer Seite
einspannen lassen. So einer ist Elischa. Und so wird Heilung und
neues Leben möglich.
Auch
die Rolle der Diener ist in dieser Geschichte interessant: Die
israelitische Dienerin der Frau des Naaman hat den Mut, einen mehr
als unkonventionellen Vorschlag zu machen: Naaman soll zu ihren
Landsleuten, also zu seinen Todfeinden gehen, um Heilung zu erlangen.
Warum
hat sie so gehandelt? Vielleicht hat sie einer Eingebung gefolgt,
vielleicht dachte sie, sie habe ohnehin nichts mehr zu verlieren.
Oder aber sie hatte Mitleid mit Naaman und wollte einfach nur helfen.
Auch
Naamans Dienern kommt eine wichtige Funktion zu, denn sie üben im
entscheidenden Moment Druck auf ihren Chef aus, damit er sich doch
noch auf seinen Heilungsweg einlässt. Weder damals noch heute war
und ist es nach landläufiger Meinung Aufgabe von Dienern, ihren
Vorgesetzten zu sagen, wo es längs zu gehen hat. In diesem Fall war
es aber die Rettung des Chefs, dass sie es doch taten.
Wo
soll ich heute Impuls-Geber*in sein?
Wann
würde es mir guttun, Ratschläge von Außenseitern anzunehmen?
Was
hilft mir, auf das Unscheinbare zu achten, damit Neues in mir
aufblühen kann?
Wann
habe ich genug innere Freiheit, um nicht zur*zum Gefangenen von
Konflikten zu werden?
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