David tanzt
Traditionell
werden die 50 Tage nach dem Osterfest als „österliche Freudenzeit“
begangen. Dieses Jahr ist es für viele von uns keine Freudenzeit,
schließlich hörte die Corona-Krise nicht einfach an Ostern auf,
sondern sie geht weiter. Versuchen wir es trotzdem mit einem
fröhlichen Bibeltext:
2
Samuel 6 (Auszüge)
David
brach auf nach Baala in Juda, um von dort die Lade Gottes
heraufzuholen, über der der Name des Herrn der Heere, der über den
Kerubim thront, ausgerufen worden ist. David und das ganze Haus
Israel tanzten und sangen vor dem Herrn mit ganzer Hingabe und
spielten auf Zithern, Harfen und Pauken, mit Rasseln und Zimbeln.
Dann ging David hin und brachte die Lade Gottes voll Freude in die
Davidstadt hinauf. Und David tanzte mit ganzer Hingabe vor dem Herrn
her und trug dabei den leinenen Priesterschurz. So brachten David und
das ganze Haus Israel die Lade des Herrn unter Jubelgeschrei und
unter dem Klang des Widderhorns hinauf.
Als
die Lade des Herrn in die Davidstadt kam, schaute Michal aus dem
Fenster, und als sie sah, wie der König David vor dem Herrn hüpfte
und tanzte, verachtete sie ihn in ihrem Herzen. Sie sagte zu ihm: Wie
würdevoll hat sich heute der König von Israel benommen, als er sich
vor den Augen der Mägde seiner Untertanen bloßgestellt hat, wie
sich nur einer vom Gesindel bloßstellen kann. David erwiderte
Michal: Vor dem Herrn habe ich getanzt; für ihn will ich mich gern
noch geringer machen als diesmal und in meinen eigenen Augen niedrig
erscheinen.
König
David tanzt „mit ganzer Hingabe vor dem Herrn her“ er freut sich
und versteckt seine Freude nicht. Schließlich hat diese Freude ihren
Grund: Die Bundeslade wird nach Jerusalem geholt. Sie war das
zentrale Heiligtum des Gottesvolkes. Wir können uns darunter einen
Kasten vorstellen, darin die Tafeln, auf denen die Zehn Gebote und
weitere Gesetzesvorschriften standen. Die Bibel beschreibt, wie Moses
sie beim Auszug aus Ägypten direkt von Gott auf dem Berg Sinai
erhält (Exodus/2.Mose 24).
Das
Gesetz, was in der Bundeslade aufbewahrt war, diente dazu, dass das
Volk ein befreites Leben führen konnte. Ein Gesetz, das keine Last
ist, sondern das befreit.
Die
Bundeslade stand für den Schemel, auf dem Gott seinen Fuß stellen
kann und war somit für die Israeliten ein Gegenstand, der deutlich
auf die sichere Gegenwart Gottes hinwies. Der Gott, der sie aus der
ägyptischen Knechtschaft befreit hat, der war für sie auf
geheimnisvolle Weise gegenwärtig in der Bundeslade.
Das
Wort „Lade“ ist im Althebräischen dasselbe wie „Arche“. Wir
können uns hier also eine Parallele denken zwischen dem heiligen
Kasten, vor dem David tanzt, und der Arche, in der Gott Noah, seine
Familie und einige Tiere vor dem Untergang gerettet hat
(Genesis/1.Mose 7). Die Lade steht also auch für Rettung, für
Befreiung, für Leben. So durften die Menschen damals ihren Gott
erleben: als rettend, befreiend, lebensspendend.
Wie
erlebe ich Gott heute? Wie kann ich in mir etwas finden, das mich
befreit?
Welche
Vorstellungen von Gott haben mich bisher geprägt?
Was
hilft mir, Gottes Gegenwart als etwas Befreiendes wahrzunehmen?
Wann
bin ich wirklich frei, wann eher nicht?
Ähnlich
wie die Bundeslade steht seit der frühen Christenheit Weihrauch für
die Gegenwart Gottes, für das Wehen des Heiligen Geistes. Im Psalm
heißt es: „Wie Weihrauch steige auf mein Gebet zu Dir, Herr.“
(Ps 141, 2) Wer Weihrauch mag, kann darin etwas von Gottes
Freundlichkeit erahnen. So wie dieser Rauch lässt auch Gott sich
nicht festhalten oder festlegen.
„David
und das ganze Haus Israel brachten die Lade des Herrn unter
Jubelgeschrei und unter dem Klang des Widderhorns hinauf.“ (2 Sam
6, 15) Das wird ein ausgelassenes Fest gewesen sein. So eine Szene
passt nur teilweise in das Bild, das wir sonst von König David
haben. David war nicht immer gut drauf. Vielen ist David bekannt als
der Hirtenjunge, der überraschender Weise den riesigen
Philister-Kämpfer Goliath besiegt (1 Sam 17). Er hat kein
lupenreines, sündenfreies Leben geführt (2 Sam 11), aber immer
wieder hat er erfahren, wie Gott ihm vergibt und wieder aufhilft (Ps
51).
Und
so kann die Freude dessen, der da ausgelassen vor der Bundeslade
tanzt, auch zu unserer Freude werden. Auch unser Leben ist nicht
schwarz-weiß, immer wieder gibt es Schattierungen, Hochs und Tiefs.
Auch wir sind nicht immer gut drauf. In all dem trägt uns Gottes
geheimnisvolle Gegenwart.
„Als
die Lade des Herrn in die Davidstadt kam, schaute Michal aus dem
Fenster, und als sie sah, wie der König David vor dem Herrn hüpfte
und tanzte, verachtete sie ihn in ihrem Herzen.“ (2 Sam 6, 16)
Michal ist Davids Frau, genaugenommen eine von Davids Frauen, denn er
hatte mehrere. Sie stellt ihn zur Rede, nach dem Motto: Dieses
Herumgehampele gehört sich nicht, und schon gar nicht für einen
König! Und sie setzt noch eins drauf: „Wie würdevoll hat sich
heute der König von Israel benommen, als er sich vor den Augen der
Mägde seiner Untertanen bloßgestellt hat, wie sich nur einer vom
Gesindel bloßstellen kann.“ (2 Sam 6, 20) Michal bringt das zum
Ausdruck, was wir heute „Fremdschämen“ nennen. Vielleicht ist es
uns auch schon einmal so gegangen, dass wir genervt waren vom
Gefühlsausbruch eines Mitmenschen und ihn zur Rede stellten: Jetzt
reiß dich mal zusammen!
Wann
sind mir die Gefühlsausbrüche unserer Mitmenschen unangenehm?
Was
macht es mit mir, wenn andere mich ungefiltert an ihren Gefühlen
teilhaben lassen?
Das kann sehr schön sein, kann aber auch distanzlos und
grenzüberschreitend wirken.
Wie
würden wir heute auf Michals Vorwürfe reagieren? Vielleicht würde
ich sagen:
Naja,
Du hast ja Recht, ich hatte mich nur so gefreut und da hatte ich mich
nicht unter Kontrolle.
Oder:
Was, das war peinlich? Oh, und ich dachte, das wäre eine tolle
Tanzeinlage.
David
reagiert souveräner, er wiegelt nicht ab: „Vor dem Herrn habe ich
getanzt; für ihn will ich mich gern noch geringer machen als diesmal
und in meinen eigenen Augen niedrig erscheinen.“ (2 Sam 6, 21-22)
David steht zu sich und zu seinen Gefühlen. Er weiß selber, dass
sich das für einen König eigentlich nicht gehört. Aber hier
handelt es sich nicht um irgendeine sekundäre Freude. Gottes
Gegenwart wird hier gefeiert, das ist wichtiger als Protokoll und
Etikette. Dafür ist David sogar bereit, in seinen „eigenen Augen
niedrig zu erscheinen“, also sich vor sich selbst zum Affen zu
machen.
David
ist einfach er selbst. Vor Gott braucht er sich nicht zu verstellen,
er kann einfach er selbst sein. „Come as you are“, wie es die
Band Nirwana in ihrem Song ausdrückt.
Wenn
uns etwas so wichtig geworden ist, dass es uns trägt, wie für David
die Bundeslade, dann kann es dazu führen, dass wir neue,
unkonventionelle Wege gehen.
Wann
gelingt es mir, zu mir selbst zu stehen, wann eher nicht?
Ist
es mir schon einmal passiert, dass ich ganz
intensiv meine Gefühle zeige und dabei anderen Menschen vor den Kopf
stoße?
Mit
wem kann ich mich in dieser Geschichte identifizieren?
Mit dem ausgelassen tanzenden David? Mit der Bedenkenträgerin
Michal? Mit der mitlaufenden Menschenmenge?
Wann
gehe ich aus mir heraus?
Was
hindert mich daran, überschwängliche Freude zu zeigen?
Was
begünstigt, dass ich meine Gefühle zeige?
Dieser
Bibeltext ist mir zum ersten Mal vor ein paar Jahren an Fasching
begegnet. Der gemeine Berliner hat es ja nicht so mit Fasching, aber
der tanzende David, der passt z.B. auch ganz gut in den Karneval der
Kulturen. Leider sind solche Veranstaltungen wegen Corona z.T. nicht
möglich. Vielleicht gibt es ja Formen ausgelassenen Feierns in den
eigenen vier Wänden? Das hat zwar den Nachteil, dass wir dann nicht
wie David „mit dem ganzen Volk“ zusammen sind. Aber vielleicht
hat es für den einen oder die andere auch den Vorteil, diskret und
unentdeckt die eigene Ausgelassenheit ausprobieren zu können. Wenn
mir keiner zuschaut, dann fällt es manchen Menschen womöglich
leichter, die eigene Freude (oder auch andere Gefühle) ungebremst
rauszulassen.
Khalil
Gibran, maronitischer Christ und Dichter aus dem Libanon, schreibt:
„Weder
möchte ich die Trauer meines Herzens gegen die Freuden der Menschen
eintauschen, noch wäre es mir lieb, dass sich die Tränen meines
Kummers in Lachen verwandelten. Vielmehr wünsche ich mir, dass es in
meinem Leben stets Tränen und Lächeln gibt: Tränen, die mein Herz
läutern und mir helfen, die Geheimnisse und Ungereimtheiten des
Lebens besser zu verstehen, und Lächeln, das mich mit anderen
Menschen verbindet und Gott verherrlicht. Durch Tränen teile ich den
Schmerz aller gebrochenen Herzen, und durch Lächeln bejahe ich das
Leben.“
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