Zwischen Glaube und Zweifel

Johannes 20, 24-29

Thomas, der Zwilling genannt wurde, einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als der auferstandene Jesus kam. Die anderen Jünger sagten zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er entgegnete ihnen: Wenn ich nicht das Mal der Nägel an seinen Händen sehe und wenn ich meinen Finger nicht in das Mal der Nägel und meine Hand nicht in seine Seite lege, glaube ich nicht.
Acht Tage darauf waren seine Jünger wieder drinnen versammelt und Thomas war dabei. Da kam Jesus bei verschlossenen Türen, trat in ihre Mitte und sagte: Friede sei mit euch!
Dann sagte er zu Thomas: Streck deinen Finger hierher aus und sieh meine Hände! Streck deine Hand aus und leg sie in meine Seite und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!
Thomas antwortete und sagte zu ihm: Mein Herr und mein Gott!
Jesus sagte zu ihm: Weil du mich gesehen hast, glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.


Am Ende des vergangenen Jahres haben wir im Stadtkloster wieder mit einer Gruppe den „Übergang in Segen“ gefeiert. Wir haben auf das alte Jahr zurückgeschaut und uns gefragt, wie das Jahr 2020 wohl werden würde. Nun sind wir in der Osterzeit, es wird Frühling und es ist jetzt schon deutlich, dass dieses Jahr sehr viel anders verlaufen wird, als wir es uns an Silvester vorstellen konnten.

Wie werden wir wohl im Dezember auf das Jahr 2020 zurückblicken? Und was werden wir dann für 2021 hoffen?

Wie immer beim „Übergang in Segen“ haben wir Ende 2019 die Jahreslosung für das neue Jahr in den Blick genommen. Sie steht im Markusevangelium und lautet „Ich glaube - hilf meinem Unglauben“ (Mk 9, 24). Unser Leben befindet sich im Spannungsfeld zwischen Glaube und Zweifel. Stärkt die Corona-Krise meinen Glauben oder nährt sie meine Zweifel? Glaube und Zweifel – beides darf sein, beides hat seine Zeit.
Einer der Jünger Jesu ist als Zweifler bekannt: Thomas, der den Beinamen „Zwilling“ trägt. Seine Zweifels-Geschichte trägt sich genau eine Woche nach der Auferstehung zu, sie passt also gut zu diesem Sonntag. Dem Thomas können wir getrost die Jahreslosung in den Mund legen: „Ich glaube, hilf meinem Unglauben.“ Und Jesus hilft dann auch seinem Unglauben und zeigt sich ihm.
Christus ist von den Toten auferstanden und Thomas will nicht leichtgläubig alles glauben, was die anderen ihm erzählen. Damit ähnelt er vielen von uns. Nachfragen, prüfen, zweifeln – es gibt Momente, in denen uns eine solche Haltung dabei hilft, authentischer hinter einer Sache zu stehen. „Prüft alles und behaltet das Gute“, schreibt Paulus (1 Thess 5, 21). Und so dürfen wir dem Zweifel des Thomas etwas legitimes oder sogar wertvolles abgewinnen.
Thomas sagt zu den anderen Jüngern sinngemäß: „Wenn ich Jesus nicht anfassen darf, dann glaube ich auch nicht, dass er am Leben ist.“ Er braucht die direkte Begegnung, die Berührung mit Christus, um an seine Auferstehung zu glauben.
Wenn es uns heute auch so geht, haben wir in der Corona-Krise ein Problem, denn Berührungen sollen wir vermeiden, Infektionsschutz statt Anfassen...

Wie geht es mir damit?
Inwieweit helfen mir Begegnungen oder Berührungen beim Vertrauen?
Wie kann auch in dieser „berührungs-armen“ Zeit mein Glaube wachsen?


Sein Zweifeln führt dazu, dass Thomas zu einem Zwiegespräch mit Jesus kommt - ein Gespräch, das es ohne diese Zweifel wohl nie gegeben hätte.

Wann ist es mir schon einmal so gegangen, dass mich meine berechtigten Zweifel ein Stück weiter gebracht haben?
Gibt es in meinem Leben eine Form von Zweifel, die mich sogar in einen neuen Austausch mit Jesus, mit Gott bringt?
Finde ich den Thomas in mir? Wie kann ich meinen Zweifeln gut Raum geben, sie auch wertschätzen?


Mir ist es schon so gegangen, dass eine Zeit intensiven Zweifelns letztlich zu mehr Gewissheit geführt hat. Z.B. in meinen ersten Monaten hier im Stadtkloster war es gut, auch den Zweifeln Raum zu geben – nur so konnte ich mich letztlich frei für das Leben an diesem Ort entscheiden.

Wir können uns fragen:
Gab es in meinem Leben schon Situationen, in denen sich nach einer Zeit des Zweifels eine neue Ruhe, ein neuer Frieden, eine neue Gewissheit eingestellt
hat?


Das kurze Gespräch mit Jesus führt dazu, dass Thomas glauben und einen Neuanfang wagen kann. Er hätte den auferstandenen Jesus anfassen können, tut es aber nicht – auch wenn es in der sakralen Kunst manchmal so dargestellt wird, als hätte er ihn berührt. Jesus und Thomas halten körperlich Abstand zueinander so wie wir heute Abstand halten wegen des Coronavirus.
Auf einer anderen, tieferen Ebene, hält Thomas jedoch keinen Abstand: Er bleibt staunend vor Jesus stehen und sagt „Mein Herr und mein Gott“. Nach Ostern beginnt für die Jüngerinnen und Jünger eine neue Zeit mit einer neuen Art des Kontakthaltens mit Jesus. „Mein Herr und mein Gott“ - durch Gebet, Meditation und Abendmahl kann es weiterhin Kontakt geben zwischen Jesus und seinen Freunden. Das galt für Thomas und es gilt auch für uns heute. Dieses Zusammensein mit Jesus führt hoffentlich immer wieder dazu, dass wir „Recht tun, Güte lieben und achtsam mitgehen mit deinem Gott“, wie es im 8. Jahrhundert vor Christus der Prophet Micha formuliert (Mi 6, 8). Einer Zeit des Zweifels darf eine Zeit des Vertrauens und Anpackens folgen.

Geistliche Impulse auf der Webseite des Stadtklosters Segen

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