Kreuz und Schuld – die Liebe ist nicht totzukriegen
Es ist erst Kar-Mittwoch, aber trotzdem hier schon mal ein Impuls zum Karfreitags-Geschehen. Euch allen gute, konstruktive und behütete Tage bis Ostern!
Aus
dem Brief des Paulus an die Kolosser, 2, 13-15
Euch,
die ihr tot wart in euren Verfehlungen, im unbeschnittenen Zustand
eures Fleisches, euch hat er zusammen mit ihm lebendig gemacht, indem
er uns alle Verfehlungen vergeben hat. Zerrissen hat er den
Schuldschein, der aufgrund der Vereinbarungen gegen uns sprach und
uns belastete. Er hat ihn aus dem Weg geräumt, indem er ihn ans
Kreuz heftete. Die Mächte und Gewalten hat er ihrer Macht entkleidet
und sie öffentlich zur Schau gestellt, ja im Triumphzug hat er sie
mit sich geführt.
In
diesen Tagen liegt es scheinbar nahe, zwischendurch mal die
Nachrichten auszuschalten und an bessere Zeiten zu denken. Die
Karwoche und Jesu Tod am Kreuz an Karfreitag scheinen dazu nicht
sonderlich gut zu passen. Und doch dürfen wir im Geheimnis des
Kreuzes einen Zuspruch erahnen, der Menschen in den letzten 2000
Jahren immer wieder neu Hoffnung gegeben hat und er auch uns durch
diese Corona-Zeit tragen soll.
Jesus
hat den Schuldschein getilgt oder zerrissen, so schreibt es Paulus
im Kolosserbrief. Christinnen und Christen haben im Laufe der
Kirchengeschichte mit immer neuen Worten formuliert, dass Jesu Tod am
Kreuz Heil bringt und unsere Schuld wegnimmt. Doch was kann das für
uns heute bedeuten?
In
Jesus begegnet uns ein ganz freier Mensch, vielleicht der freiste
Mensch überhaupt: Er ist konsequent seinen Weg gegangen und stand zu
dem, was er predigte. Dieser Weg führte ihn zum Tod am Kreuz. Welche
Alternativen hatte Jesus?
1.
Er hätte weglaufen können.
2.
Zu denen, die ihn kreuzigen wollten, hätte er sagen können: OK, ich
nehme alles zurück, ich hab's nicht so gemeint.
3.
Jesus hätte aber auch Widerstand organisieren können, nach dem
Motto „Gewalt erzeugt Gegengewalt“. Einige seiner Jünger wären
bereit gewesen, mitzukämpfen.
Bei
diesen Varianten wäre sich Jesus untreu geworden, wäre in
Widerspruch geraten zu sich selbst und zu Gott. Er wollte nicht
wegrennen und er wollte auch nicht zurückschlagen. Er ließ sich
nicht unterbuttern, gab nicht klein bei - und hat doch gleichzeitig
andere nie unterdrückt. Dieser Weg führte Jesus in so starke
Konflikte mit den Herrschenden seiner Zeit, dass sie ihn töten
wollten.
Dieser
Weg endete vorerst am Kreuz – aber die Geschichte ist hier eben
nicht zu Ende. Denn einer, der so frei seinen Weg geht, ist nicht
totzukriegen. Auf Karfreitag folgt Ostern: „Christus ist
auferstanden“, wird es auch dieses Jahr am Ostersonntag wieder
heißen, auch wenn es diesmal nicht in vollen Kirchen, sondern in
Wohnzimmern und auf Internet-Plattformen sein wird. Diese Botschaft
ist nicht totzukriegen, auch nicht durch Corona.
Aber
was meint Paulus im Kolosserbrief mit dem Schuldschein, den Jesus
getilgt hat? Jesus ist seinen Weg konsequent bis zum Ende gegangen.
Er hat damit gezeigt, dass es möglich ist, so zu leben. Die Freiheit
und die Konsequenz, mit der Jesus gehandelt hat und sich selbst und
Gott treu geblieben ist - die relativieren alles, was uns von Gott
trennt; diese Freiheit stellt alles in den Schatten, was in uns mit
Schuld belädt.
Wenn
ich auf mein Leben schaue, dann merke ich, dass ich diese Freiheit
und diese Konsequenz oft nicht habe. Manchmal komme ich in eine
dominierende Haltung oder aber ich ducke mich weg. Vielleicht geht es
nicht nur mir so. So stellt sich die Frage: Was hindert mich daran,
frei und konsequent meinen ureigenen Weg zu gehen, den Weg zu gehen,
den Gott für mich vorgesehen hat? Das ist eine Frage, auf die jede
und jeder eine ganz individuelle Antwort hat. Aber oft hängt es
zusammen mit inneren Ängsten, Schuldgefühlen, mit dem schlechten
Gewissen, das blockiert. Die Schuldscheine in unserem Leben.
Jesus
wird auch das alles gekannt haben. Da, er ganz aus seiner Beziehung
zum Vater, also Gott, gelebt hat, ist es ihm gelungen, loszulassen.
Mir fällt es schon schwer, im Alltag einfach mal loszulassen und
Situationen anzunehmen – gerade jetzt, wo vieles im Wanken ist. Es
tut gut, sich einzuüben ins Loslassen. Jesus konnte das sogar so
sehr, dass er am Kreuz sein eigenes Leben loslassen konnte, um sich
selbst und damit Gott treu zu bleiben. Wer sein Leben loslässt,
wird es wiederbekommen, heißt es sinngemäß im Matthäusevangelium
(Mt 16, 25). Und genau das passiert an Karfreitag und Ostern: Der,
der sein Leben am Kreuz hingegeben hat, bleibt nicht im Tod.
Jesu
Kreuz und Auferstehung öffnen uns eine neue Perspektive: Unsere
Schuldgefühle, unser schlechtes Gewissen, all das will verwandelt
sein. In unserem Leben und in der Gesellschaft gibt es kleinere und
größere Kreuze. Am Leiden gibt es nichts schönzureden. Gott
verspricht uns aber auch immer wieder Auferstehungsmomente, auch und
gerade in unseren Tagen. Der Schuldschein ist da, ja, es läuft
vieles verkehrt. Aber er ist eben getilgt, zerrissen.
Hinter
dem Kreuz dürfen wir bereits das Licht des Oster-Morgens erahnen.
Unser Leben ist voll von beidem. Das eine ist ohne das andere nicht
zu haben. Das Bild vom getilgten Schuldschein sagt uns aber zu, dass
die Vergebung und Befreiung stärker sind als das schlechte Gewissen
– auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind.
Welche
Erfahrungen habe ich mit Schuldscheinen, die Gott getilgt hat?
Wozu
bin ich in der Lage, wenn Gott mich von meinen inneren Blockanden
befreit?
Was
hilft mir, das Leiden nicht kleinzureden und daran dennoch nicht zu
verzweifeln?
Kenne
ich Beispiele des Loslassens aus meinen Leben oder von meinen
Mitmenschen? Wann hat Loslassen zu neuem Leben geführt?
Impuls
in der Abendbesinnung, Stadtkloster Segen, 3. September 2017,
aktualisiert im April 2020
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