Rühre mich nicht an
Johannes 20, 11–18
Maria
aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte,
beugte sie sich in die Grabkammer hinein.
Da
sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo
der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen
hatten.
Diese
sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Sie haben
meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wohin sie ihn gelegt
haben.
Als
sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen,
wusste aber nicht, dass es Jesus war.
Jesus
sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es
sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht
hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast! Dann will ich ihn holen.
Jesus
sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich um und sagte auf Hebräisch
zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister.
Jesus
sagte zu ihr: Halte mich nicht fest; denn ich bin noch nicht zum
Vater hinaufgegangen. Geh aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich
gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem
Gott.
Maria
von Magdala kam zu den Jüngern und verkündete ihnen: Ich habe den
Herrn gesehen. Und sie berichtete, was er ihr gesagt hatte.
Es
tut gut, diesen Text jetzt zu lesen: Weinen wird zu Lachen, Trauer
wird zu Freude, aus dem Tod kommt Leben, Christus ist auferstanden!
Dessen dürfen wir uns
in aller
Corona-Frustration immer
wieder erinnern.
Manche
Sätze in der Bibel haben seit Beginn der Corona-Krise einen anderen
Klang. Z.B. sagt Jesus beim Abendmahl: „Der, der die Hand mit mir
in die Schüssel legt, der wird mich verraten.“ (Mk 14, 20) Da höre
ich in diesen Tagen, dass wir besser nicht aus einer Schüssel und
erst recht nicht mit den Fingern essen sollten. Ansonsten droht
vielleicht nicht unbedingt Verrat, aber Ansteckung.
Der
auferstandene Christus
ist da schon
vorsichtiger, er sagt
zu Maria von Magdala: „Halte
mich nicht fest“,
oder „rühre
mich nicht an“.
Er achtet auf die
gebotenen Abstandsregeln…
Natürlich
geht es im Evangelium
nicht um Infektionsschutz und
der Auferstandene hat auch keine Gesichtsmaske getragen.
Und trotzdem: Was sagt uns dieser Satz heute? Halte
mich nicht fest, rühre mich nicht an. (Joh
20, 17)
Jesus
und Maria von Magdala waren in Liebe verbunden. Freundschaftliche
Berührungen waren
sicher Teil ihrer gemeinsamen Geschichte. Aber diese Zeit ist nun
vorbei, Jesus war tot und ist auferstanden. An
Ostern geht nicht einfach alles so weiter wie vorher. Jesus war
wirklich tot ist ist nun als Auferstandener nicht einfach „der
Alte“. Maria soll eine gewisse Distanz wahren.
Auch nach Corona wird
die Welt wahrscheinlich nicht genauso sein wie vorher. Womöglich
werden wir vieles mit anderen Augen sehen.
Jesus
fordert Maria dazu auf, Distanz zu wahren. In
diesen Tagen spüren
wir mehr als sonst, dass Liebe und Distanz keine Widersprüche sind.
Ich halte Abstand zu meinen Mitmenschen, um sie nicht anzustecken und
auch um mich selbst vor Ansteckung zu schützen.
Auch
ohne Corona muss Distanz nicht immer eine Form von Ablehnung sein: Es
kann Ausdruck von Liebe sein, jemanden zum ureigenen Weg zu
ermutigen, auch wenn dieser Weg nicht meinen Vorstellungen
entspricht. Liebe respektiert
das Anders-Sein – und sie
ist nur dann
Liebe, wenn sie freiwillig geschieht, in
Freiheit. Festhaltende
Nähe kann zur Gefahr für Freiheit werden. Da bedarf
es auch
Distanz. Rühre mich
nicht an…
„Halte
mich nicht fest, denn ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen“,
sagt Jesus. Damit gibt er
Maria (und
uns)
indirekt eine Perspektive, er lässt sie (und uns) nicht allein.
Jesus kündigt an, dass er zum Vater hinaufgeht und dass er uns den
Weg dorthin frei macht. In Gott dürfen wir die unendliche und
wohltuende Berührung erahnen; eine Berührung, die unserer Freiheit
nicht im Wege steht; eine Berührung, in der unsere Freiheit erst
ihren tiefen Sinn erhält.
„Gott
ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott
in ihm.“ (1 Joh 4,16b) Diesen
Satz mag ich allein schon,
weil er unser Hochzeitsspruch war (und ist!). Er
bedeutet für mich auch, dass Gott die Berührung schlechthin ist,
auf die wir uns ausrichten dürfen. Gott ist das Gegenüber, das uns
immer Geborgenheit
schenken will.
Doch
mit dieser Geborgenheit stellt er uns vor neue Herausforderungen und
schickt uns auf den Weg: „Geh
aber zu meinen Brüdern und sag ihnen: Ich gehe hinauf zu meinem
Vater und eurem Vater, zu meinem Gott und eurem Gott.“ Jesus
stärkt Maria durch die Begegnung und er erteilt
ihr die
Mission, das Gesehene weiterzusagen.
Beides gehört zum Leben, das
beschenkt werden und das aktive Handeln
– die Brüder aus Taizé haben diese
beiden Pole
zu verschiedenen Zeiten mit
je
anderen
Worten
auf den Punkt gebracht: „Kampf und Kontemplation“ (1973) und
„Unterwegs und doch verwurzelt bleiben“ (2020).
-
Welche Berührungen tun mir gut? Nach welchen Berührungen sehne ich mich?
-
Welche Berührungen lasse ich lieber bleiben, in Pandemie-Zeiten oder auch in normalen Zeiten?
-
Was berührt mich wirklich?
-
Wie erfahre ich Gottes Geborgenheit? Gibt es Herausforderungen, die ich dank dieser Geborgenheit angehen kann?
Stadtkloster
Segen, Ostern, April 2020, Meditation
Carsten Albrecht
Spannend finde ich die Übersetzungsmöglichkeit "Halte mich nicht fest. Bin ich etwa noch nicht zum Vater aufgestiegen?" Diese Frage gibt der altgriechsiche Urtext her und die Frage ist sogar viel plausibler!! Bei Johannes in seinem Evanglium ist Jesus ja schon am Kreuz erhöht worden - also Auferstehung und Himmelfahrt ereignen sich schon am Kreuz!! Deswegen können Jesu Worte an Maria von Magdala so verstanden werden, dass er schon der göttlichen Dimension angehört und gar nicht mehr auf Erden in der Materie "festgehalten" werden kann. Zudem entfällt damit die antifeministische Speerspitze, da in der Kirchengeschichte viele Male die Unreinheit Marias als Frau als Grund des Berührungsverbotes Jesu angeführt bzw. ausgelegt wurde.
AntwortenLöschenJa, diese Perspektive ist echt spannend. Ich finde es auch hilfreich, zu sehen, dass im Johannesevangelium das Pfingst-Ereignis zum ersten Mal am Kreuz stattfindet: Er gab den Geist auf, er hauchte den Geist aus. Eine Einheit aus Tod und Erneuerung, Freud' und Leid...
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