Da weinte Jesus. Die Judäer sagten: Seht, wie lieb er ihn hatte! (Johannesevangelium 11, 35-36)


Der heutige 5. Sonntag der österlichen Bußzeit - auch Passionssonntag genannt - dreht sich ums Sterben, Gestorbensein, Hoffnung auf Auferstehung und eine Auferweckung - die des gestorbenen Lazarus. Es mag kein Zufall sein, dass ich gestern von vier Sterbens - bzw. Todesfällen erfahren habe. Nehme ich den einen während der Woche noch hinzu, sind es fünf. Alle nicht wegen Corona. Dazu kann ich natürlich noch leicht die ganzen gemeldeten Corona -Todesfälle aus Italien und anderen Ländern miteinbeziehen. Aber wie immer trifft uns Menschen Todes - bzw. Sterbensnachrichten mehr, wenn wir die Gestorbenen oder ihre Angehörigen kannten bzw. kennen.

Mit dieser Erfahrung und Gefühlen von gestern klingen für mich die für diesen Passionssonntag bestimmten Lesungen noch einmal ganz anders:

"Ich öffne eure Gräber und hole euch, mein Volk, aus euren Gräbern herauf." (Ezechiel 37,12b).

"Dann wird er, der Christus Jesus von den Toten auferweckt hat, auch euren sterblichen Leib lebendig machen" (Brief des Apostels Paulus an die Gemeinde in Rom 8,11)


"Lazarus, komm heraus!" (Johannesevangelium 11,43)

Gräber öffnen, einen sterblichen Leib lebendig machen oder einen Gestorbenen aufzurufen, aus seinem Felsengrab zu treten, kann ja nur passieren, wenn Sterben und Tod bereits eingetreten sind! Und diese einfache Wahrheit ist es, was wir doch alle gerade durchmachen. Zu erleben, wie es Todesfälle bei Freunden oder Bekannten gibt, zu lesen, wie in Italien ähnlich wie im Mittelalter Massen an Menschen wegsterben und schnell in Leichensäcken aufgebahrt werden. Wie Beerdigungen im kleinsten Kreis oder sogar anonym gehalten werden, ohne dass sich die Angehörigen persönlich von ihren Dahingeschiedenen verabschieden können.

Die Herausforderung in diesen biblischen Erzählungen sehe ich darin, auf der dunklen Todesseite stehenzubleiben. Das Leid, die Hilflosigkeit, die Tränen, den Kummer, die Wut, ... an mich heranzulassen. All diese Emotionen nicht wegzusperren, sondern zuzulassen. Eben zu trauern, sich Zeit für diesen Prozess mit all seinen Phasen zu nehmen. "Seichte" und "tröstende" Worte, welche von Hoffnung und Auferstehung sprechen, fände ich jezt an diesem Sonntag sehr unpassend. Vielleicht sogar etwas billig - so als ob jemand versucht, sich von dieser Trauer und dem Schmerz davonzuschleichen. Wenn aber, wie es in der Bibel heißt, Gott "ein Gott des Lebens" ist, gehört der Tod ja zum Leben dazu.

Vor den Gräbern stehen, auf der Seite des Todes, des Lebensendes - das können wir. Gerufen, herausgerufen zu werden, den Tod noch einmal ganz anders als Tür, Durchgang zu erleben - das können wir nicht machen.Oder nur erfahren, wenn wir selbst den Weg alles Irdischen gehen. Wir können nur trauern, weinen und warten wie es der Psalm 130 des heutigen Passionssonntags ausdrückt:


"Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen.
Mehr als die Wächter auf den Morgen soll Israel harren auf den Herrn."
Psalm 130,6-7a

Warten bedeutet hier für mich, vor allem immer wieder offen dafür zu sein, die Welt, die Wirklichkeit mit ganz anderen Augen zu sehen. Versuchen, im Moment zu sein und ihn zu durchleben und anzunehmen, so wie er ist. So wie der Jesuitenpater und Märtyrer im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime, Alfred Delp. In Erwartung seiner sicheren Hinrichtung schrieb Delp  am 17.November 1944 mit in Handschellen gelegten Händen im Gefängnis Berlin-Tegel folgende Zeilen:

"Innerlich habe ich viel mit dem Herrgott zu tun und zu fragen und dran zu geben.
Das eine ist mir so klar und spürbar wie selten:
Die Welt ist Gottes so voll.
Aus allen Poren der Dinge quillt er gleichsam uns entgegen.
Wir aber sind oft blind.
Wir bleiben in den schönen und bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis an den Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott herausströmen.
Das gilt für alles Schöne und auch für das Elend.
In allem will Gott Begegnung feiern
und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort [...].
Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir immer gesucht haben."





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